Ein etwas provokativer Titel. Natürlich ist der RIAA als Standard etabliert, oder?
Ist die Entzerrung der Schallplattenaufnahme bei Aufnahme und Wiedergabe wirklich standardisiert??
Warum diese Frage?
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Kürzlich berichtete ein Stammtischkollege von einer Erfahrung, die ich nachvollziehen konnte.
Ein Bekannter – mit einer höchstwertigen Anlage – besass einen Phonoentzerrvorverstärker (so heisst es korrekt), bei dem man bei der Wiedergabe der Schallplatte die sogenannte Schneidkennlinie umschalten konnte.
Er hörte dort intensiv Musik und wollte wissen, warum denn diese Umschaltung überhaupt notwendig sei?
„Such‘ Dir mal eine Deutsche Grammophon aus dem Regal aus, dann hörst Du es!“
Verdutztes Gesicht, aber der Versuch macht klug.
Es muss ein Violinkonzert gewesen sein, dass mein Freund aus guter Hörerfahrung sehr genau kannte und nun auflegen liess.
Zunächst liess sein Freund es im RIAA Standard laufen, und schaltete dann auf den TELDEC Standard um, mit dem DGG produziert(e).
Auf einmal klang die Violine RICHTIG gut, und die Räumlichkeit der Aufnahme kam zum Tragen.
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Das machte mich neugierig, zumal ich ja erst kürzlich einen Phonovorstufe mit einstellbarer Entzerrung gebaut hatte……..
Doch vorab noch ein bisschen Theorie:
Was passiert bei der Produktion der Schallplatte, wenn also vom Band oder neuzeitlich digital gemastert wird?
- der sogenannte Schneidstichel schneidet in die Muttermatritze die Musikinformation
- Da bei tiefen Tönen sehr viel mehr Platz benötigt wird, als bei hohen Tönen, werden die Bässe mit geringeren Pegeln aufgezeichnet und die Höhen betont (sehr laienhaft ausgedrückt), um ausreichende Spielzeit zu erzielen und dem Tonabnehmer eine unverzerrte Wiedergabe zu ermöglichen
- seit Produktion der Schallplatte hatte nun jeder Produzent „SEINE“ Schneidkennlinie, also das Mass der Bassabschwächung und Höhenanhebung selber definiert und genutzt
(Profis können das anhand der „Unterschrift“ in der Auslaufrille identifizieren – ich kann es nicht) - 1955 wurde dann der sogenannte RIAA Standard eingeführt, der ein „fixes“ Mass dieser künstlichen Manipulation erreichen sollte und alle Plattenproduzenten auf einen Standard zu einen versuchte.
- bei der Wiedergabe wird dann der Bassbereich im Phono“entzerr“vorverstärker wieder angehoben, der Mittelhochtonbereich definiert abgesenkt und dann das Ganze um den Faktor 100 verstärkt
- nach RIAA Definition mit obigen Eckdaten
Auszug aus de.wikipedia.org
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RIAA-KurveDieser Schneidkennlinien-Standard, auch RIAA-Kurve genannt, funktioniert so: Beim Schnitt einer Schallplatte schneidet man tiefe und hohe Frequenzen mit unterschiedlich veränderten Amplituden in die Platte. Demgemäß werden die Tiefen dabei abgeschwächt und die Höhen angehoben.
Würde man dieses Verfahren nicht anwenden, würden die Bässe aufgrund ihrer kräftigen Auslenkung einen größeren Rillenabstand erfordern. Das hätte eine verkürzte Spielzeit zur Folge. Zudem würden die Höhen, wegen der ungenügenden Dynamik des Tonabnehmers, nicht originalgetreu wiedergegeben werden können; leise Höhen würden im Nadel-Rillenwand-Rauschen untergehen.
Um den bei der Aufzeichnung veränderten Frequenzgang (Emphasis) der Schallplatte wieder in die Originalform zu bringen, muss das Verfahren bei der Wiedergabe spiegelbildlich als Deemphasis wiederholt werden. Man sagt, der Frequenzgang wird entzerrt.[1] Hierzu gibt bzw. gab es zwei Möglichkeiten:
- Kristalltonabnehmer haben eine entzerrende Charakteristik, die aber kein genaues Spiegelbild der Verzerrungskurve liefern. Das Ausgangssignal ist relativ hochpegelig, so dass eine Verstärkerstufe entfallen kann. Dieses System war für einfachere Plattenspieler in Gebrauch.
- Magnettonabnehmer benötigen einen Vorverstärker, der durch Auswahl der Bauelemente eine recht genaue Näherung an die erforderliche Frequenzkurve liefern kann. Selbst im Consumer-Bereich hatte dieses System die Kristalltonabnehmer vollständig ersetzt. Moving Coil-Tonabnehmer sind bis auf die Tatsache, dass sie ein noch schwächeres Ausgangssignal liefern, gleichzusetzen mit Magnettonabnehmern.[2]
Die RIAA-Kurve ist nicht der einzige Standard. Möglich sind auch Kurven nach CCIR, NAB und DIN, was bei einigen Vorverstärkern umgeschaltet werden kann.
mfg der Wikiseite
………………………………… - Wer bis hier hin mitgekommen ist, versteht die nachfolgende Tabelle aus der Seite www.vinylengine.com
In dieser Tabelle hat sich jemand die Mühe gemacht und die Schneidkennlinien der verschiedenen Hersteller exakt tabellarisch beschrieben:
https://www.vinylengine.com/cartridge_database_record_equalization.php
Aus coyrightgründen kann ich die Tabelle nicht direkt einbinden, aber es lohnt sich, sie zu studieren.
Nehmen wir mal wenige Eckpunkte:
- der Bass wird um 30-50Hz nicht um 20dB angehoben, sondern um 18 dB
- jenseits von 1000Hz (hier schneiden sich alle Kennlinien) senkt DGG mehr ab, als es der RIAA Standard vorsieht
Wenn man nun meint, das – also die Höhenveränderung – würde man hören, dann ist das nur ein Teil der Medaille.
Der zweite Teil ist die raumakustische Auswirkung!?!
Auch hierzu ein Ausflug in die Therorie:
https://www.tmr-audio.de/index.php/inhalt/wissenswertes-ueber-hifi/faq-haeufige-fragen-und-antworten/das-hoeren/127-raeumliches-hoeren
Unterrichtsmaterial der TU Berlin
Diese Liste liesse sich beliebig fortsetzen, vor allem im angloamerikanischen Bereich ist dazu viel geschrieben worden (siehe unten Quellen u.a. Peter Copeland)
Zurück zur Fragestellung und Beobachtung meines Freundes:
authentisch empfinden wir den gehörten Klang, wenn Laustärke, Räumlichkeit und Klangfarbe „stimmen“.
Seine Beobachtung, dess mit Umschalten der Schneidkennlinienwiedergabe die DGG Platte „besser“ klingt, ist nun nachvollziehbar.
Zu Hause angekommen, habe ich flink einen Blick in den Stromlaufplan meiner EMT Vorstufe geworfen!!
...Ausschnitt aus dem Stromlaufplan der EMT139; achten sie auf die Angebn der sog. Schnelle
Und siehe da: der TELDEC Standard ist neben dem RIAA und BBC Standard implementiert.
Schnell die DGG’s aus dem Regal und ausprobiert.
Jawohl, den Unterschied höre ich; und seit langem höre ich wieder DGG, da die Wiedergabe authentischer ist.
Daraus nun die Konsequenz zu ziehen, dass alle RIAA Phono Vorverstärker „Schrott seien“, wäre vermessen.
Aber einen Gedanken darauf zu verwenden, sich dem korrekten Schneidlinienstandard zuzuwenden, wäre korrekt.
Mir geht da so durch den Kopf:
- steckbare RIAA Filter in der XONO
- Erweiterung des XONO Konzeptes um ein Umschaltkonzept im RIAA „Bereich“
- Konzept eines Phonovorverstärkers der neben der gängigen Impedanz (MM + MI) und Widerstandsanpassung (MC) auch über ein zu/umschaltbares RIAA Filter verfügt.
Wer weiss??
Ich geniesse auf jedem Fall die Möglichkeit des Umschaltens – und vor allem auf’s Neue die eine zeitlang ehrlich verschmähten DGG Platten.
Sie sind doch besser als ihr Ruf!!
Quellen:
– Grundlagenartikel (Ausschnitt )Peter Copeland (BBC)